Der Nikolaus kommt in die Ü-Klassen, 6. Dezember 2016

Das erklärte Ziel der Übergangsklasse ist ja, unseren vielen Sprachanfängern aus aller Herren Länder einen Einstieg in die deutsche Sprache und Kultur zu vermitteln.

Und dazu gehört im Grundschulalter erklärtermaßen der NIKOLAUS.

Ein Lieblingswort aller Kinder – und schon nach nur drei Schultagen auch von den allerneusten Neuankömmlingen strahlend auszusprechen.

Also begibt sich die Erstklasslehrerin auf die Suche nach dem Nikolaus.

Der echte Nikolaus hat leider keine Zeit – aber schnell ist ein guter Ersatz gefunden: Fabian, unser Bufdie.

Sehr schön sieht er aus: rote Kapuze, roter Mantel und ein beeindruckender, wunderbar gelockter weißer Rauschebart.

Einen großen Sack hat er dabei. Auch eine Rute, man weiß ja nie...

Die Kinder sehen ihn durch das Fenster auf dem Flur herankommen.

Begeisterung bricht aus: „Der Nikolaus kommt zu uns! Der Nikolaus!“

Der Nikolaus poltert an die Tür.

Erstarrtes Schwiegen.

Der Nikolaus tritt ein.

Gekicher, Gelächter: „Das ist nicht der Nikolaus, das ist der Fabian!“

Der Nikolaus lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Er setzt sich auf seinen Stuhl.

Sagt ganz gelassen: „Ja, ja, natürlich bin ich den Fabian! Aber JETZT bin ich der Nikolaus. Das sieht man doch an meinem Gewand!“

Das Ergebnis ist frappierend:  Keiner ist mehr Detektiv, selbst unsere 10- und 11-Jährigen sind nur noch Kind.

Gespannt und fast andächtig sitzen sie und wollen hören, was der Nikolaus zu sagen hat.

Der Nikolaus klappt umständlich sein goldenes Buch auf und beginnt zu sprechen.

Für jedes Kind hat er dort etwas hineingeschrieben.

Ein dickes LOB, ein kritisches ABER und einen WUNSCH des Nikolaus bezüglich des weiteren Verhaltens ... für jedes einzelne Kind.

„Stimmt das denn?“, fragt er besorgt nach jedem dicken „ABER“.

Die Kinder nicken ehrfürchtig, manche schämen sich auch ein bisschen.

„Bist du ein Kind für die Rute?“, fragt der Nikolaus streng „Oder willst du dich bessern?“

Die Kinder nicken schnell ... die Rute, da sind wir doch mal besser vorsichtig.

Die kleine Shiren ist erst seit ein paar Tagen bei uns.

„Warum Shiren haben kein ABER?“, fragt ein Mitschüler besorgt. Gerecht muss es schon zugehen beim Nikolaus.

Der Nikolaus wiegt weise seinen Kopf. Und schweigt.

Alle sind ganz leise.

Alle sind voll der guten Vorsätze.

Zumindest für die nächsten fünf Minuten.

Und dann packt der Nikolaus langsam die Schätze aus, die er in seinem Sack dabei hat:

Mandarinen, für jedes Kind einen Lebkuchen und einen kleinen Nikolaus aus Schokolade.

Unsere Kinderlein, die immer den Eindruck machen, man könne sie nur noch mit einem Handy oder einem neuen Spiel für die Spielkonsole beglücken, sind begeistert.

Danach sagen sie dem Nikolaus noch ein Gedicht auf.

Genau genommen können nur zwei Kinder das Gedicht – aber der Nikolaus sieht das nicht so eng und freut sich trotzdem.

Am Schluß schaut der Nikolaus mal kurz in die andere Richtung – und, zack, sind all seine Gaben von kleinen Kinderhänden weg gegrapscht.

Die Lehrerin muss ein bisschen schimpfen und alles gerecht verteilen.

ABER ... darüber schimpft der Nikolaus erst wieder im nächsten Jahr.

Vorsorglich hat er die schlimmsten Grapscher schon mal in seinem goldenen Buch notiert.

 

Jutta Hetterich